
»Es gibt niemanden mehr, den du retten kannst.«
Helena Marino ist die letzte Überlebende des Widerstands, vergessen in Gefangenschaft. Bis sie durch einen Zufall in die Hände von Kaine Ferron gerät, dem erbarmungslosen High Reeve. Eingesperrt auf seinem eisernen Anwesen, will Helena die letzten Geheimnisse des Widerstands wahren, während Kaine versucht, mit alchemistischer Gewalt in ihren Kopf einzudringen. Denn Helena erinnert sich nicht an die letzten Jahre des Krieges. War sie wirklich nur eine einfache Heilerin in den Reihen der Ewigen Flamme? Helena ringt um ihr Überleben – und beginnt zu ahnen, dass Kaine und sie weit mehr verbindet, als ihre Feinde je erfahren dürfen …

Überfrachtete Siege – Wenn Quantität als Tugend gilt
Alchemised ist ein Roman, der schon auf den ersten Blick durch seine schiere Länge beeindruckt. Doch je weiter man liest, desto stärker wächst der Eindruck, dass die Fülle an Handlung, Figuren und Wendungen mehr Last als Nutzen bringt. Was zunächst als ehrgeiziges Epos wirkt, entpuppt sich bald als überladene Erzählung, die unter ihrem eigenen Gewicht zusammenzubrechen droht.
Viele Abschnitte verlieren sich in Langatmigkeit, in endlosen Dialogen und Szenen, die wenig zum Fortschritt der Geschichte beitragen. Es entsteht das Gefühl, SenLinYu habe Mühe gehabt, den Fokus zu halten. Statt einer klaren Linie begegnet man einer Vielzahl von Nebenhandlungen, deren Relevanz oft erst spät – oder gar nicht – ersichtlich wird. Besonders das Mittelstück des Romans zieht sich zäh dahin. Ereignisse wiederholen sich, Konflikte verlaufen im Kreis, und der Leser verliert zunehmend das Interesse an den eigentlich vielversprechenden Ansätzen. Auch der Anfang des Romans ist der Langatmigkeit ausgesetzt. Das World-building an sich kostet schon gute 400 Seiten in denen man häufiger ins Glossar schaut, als die Seiten zu lesen.
Zwar sind einzelne Momente mit Detailtiefe und stilistischem Feingefühl geschrieben, doch sie gehen in der Überfülle verloren. Der Text verlangt Geduld und Durchhaltevermögen, ohne dafür konstant belohnt zu werden. Man hat den Eindruck, SenLinYu wolle um jeden Preis episch erzählen – koste es Spannung, Stringenz und Klarheit. Das führt zu einer seltsamen Schieflage. Ein Werk, das Größe anstrebt, aber an mangelnder Disziplin im Erzählen scheitert.
Auch die Struktur wirkt stellenweise improvisiert. Übergänge sind holprig, Zeitsprünge wirken willkürlich und fehl am Platz. Sie sorgen dafür, dass man (bzw ich) keine Bindung zu den Charakteren aufbauen kann. Manche Kapitel lesen sich wie Entwürfe, die nie vollständig überarbeitet wurden. Was bleibt, ist eine Aneinanderreihung von Szenen, die selten wirklich ineinandergreifen. Das Ergebnis ist ein Roman, der eher erschöpfend als faszinierend wirkt.

Dunkelheit ohne Tiefe – Wenn Düsternis Selbstzweck wird
Eines der auffälligsten Merkmale von Alchemised ist seine konsequent düstere Atmosphäre. Gewalt, Unterdrückung und psychische Zerrüttung durchziehen das Buch wie ein Grundrauschen. Und das alles ohne eine großartige Triggerwarnung, die man heutzutage bei leichterer Kost schon zu lesen bekommt. Doch diese Düsternis dient selten einem echten erzählerischen Zweck. Statt die Abgründe menschlicher Erfahrung auszuloten, erscheinen viele der brutalen Szenen wie Selbstzweck. Als wolle man um jeden Preis schockieren, ohne wirklich etwas zu sagen.
Zahlreiche Figuren erleben Traumata, Folter oder emotionale Zerstörung. Doch erstaunlich oft fehlt es an einer glaubwürdigen Verarbeitung dieser Erfahrungen. Charaktere, die auf grausamste Weise gebrochen werden, funktionieren ein Kapitel später wieder wie zuvor. Emotionale Konsequenzen werden übersprungen, als störten sie das Tempo. Damit unterläuft der Roman seine eigenen Ansprüche auf psychologische Authentizität.
Hinzu kommt, dass die Darstellung von Macht und Kontrolle immer wieder problematisch wirkt. Beziehungen, die auf Zwang, Manipulation und Abhängigkeit beruhen, werden in manchen Passagen beinahe romantisiert. Das erzeugt ein unangenehmes Spannungsfeld, das selten kritisch reflektiert wird. Die Grenze zwischen dunkler Leidenschaft und Missbrauch verschwimmt so sehr, dass sie manchmal kaum noch zu erkennen ist.
Auch erzählerisch nutzt sich die Düsternis ab. Wenn jede Szene von Schmerz, Schuld oder Angst durchdrungen ist, verliert das Dunkle seine Wirkung. Es fehlt die Balance, das Aufatmen zwischen den Schatten. Gerade deshalb fühlt sich vieles am Ende nicht mehr intensiv, sondern monoton an. Der Roman verwechselt Schwere mit Tiefe. Und beides ist nicht dasselbe.
Zudem wirken die Dialoge häufig gezwungen dramatisch. Figuren reden in langen, bedeutungsschweren Sätzen, doch selten entsteht das Gefühl echter Kommunikation. Es ist, als sprächen sie nicht miteinander, sondern ins Leere. Als Vehikel für die großen Themen, die das Buch verhandeln möchte, ohne sie wirklich zu begreifen.

Zwischen Fanfiction und Eigenständigkeit – Wenn Herkunft zum Hemmschuh wird
Alchemised basiert auf der bekannten Fanfiction „Manacled“, die im Harry-Potter-Fandom Kultstatus erlangte. Das allein wäre kein Problem, doch der Roman schafft es nur bedingt, sich von seinen Ursprüngen zu lösen. Zu oft blitzen Erinnerungen an das Quellmaterial auf. In Charakterdynamiken, in Motivstrukturen und sogar in sprachlichen Mustern.
Man spürt deutlich, dass die Geschichte aus einem anderen Kontext stammt. Viele Szenen wirken wie eine Variation bereits bekannter Konstellationen, nur mit geänderten Namen. Dadurch entsteht eine merkwürdige Entfremdung. Das Buch will originell sein, klingt aber immer wieder vertraut. Statt eine neue Welt zu erschaffen, zitiert es unbewusst die alte.
Auch thematisch bleibt Alchemised in diesem Zwischenraum stecken. Der Versuch, Fanfiction-Motive in eine eigenständige Handlung zu übertragen, führt zu erzählerischen Reibungen. Manche Beziehungsdynamiken, die in einem fanbasierten Umfeld noch als experimentell gelten konnten, wirken in einem eigenständigen Roman plötzlich unreflektiert. Die moralische Ambivalenz, mit der das Buch spielt, bleibt unaufgelöst. Nicht als Kunstgriff, sondern als Unentschlossenheit.
Dabei gäbe es durchaus Potenzial. Die Welt ist komplex, die Grundidee spannend, die emotionale Fallhöhe groß. Doch all das verliert sich in Wiederholungen und Unschärfen. Was fehlt, ist ein klarer Wille zur Eigenständigkeit. Statt einer neuen Stimme hört man das Echo eines alten Erfolgs.
Die Sprache trägt zu diesem Eindruck bei. Sie schwankt zwischen lyrischer Überhöhung und klischeehafter Theatralik. Manche Metaphern sind fein gearbeitet, andere überladen und schwerfällig. Immer wieder bricht das Pathos den Fluss. So entsteht eine stilistische Unruhe, die den ohnehin komplexen Stoff zusätzlich erschwert.

Fazit
Alchemised ist ein ehrgeiziges, aber unausgewogenes Werk. Es will groß, düster und bedeutsam sein. Doch zwischen Überlänge, emotionaler Inkonsistenz und stilistischer Überladung verliert es seine Richtung. Der Roman bietet beeindruckende Ansätze, starke Bilder und gelegentlich berührende Momente, doch sie bleiben Inseln in einem Meer aus Überforderung.
Die dunklen Themen werden nicht mit der nötigen Sensibilität behandelt, die psychologische Tiefe bleibt oberflächlich, und die narrative Eigenständigkeit wird durch die Fanfiction-Vergangenheit ständig untergraben. Was als episches Drama gedacht ist, endet als überdehntes Experiment.
Wer Geduld, Toleranz für Schwächen und eine hohe Schmerzgrenze für Pathos, Länge und Düsternis mitbringt, wird einzelne Passagen vielleicht schätzen. Doch als Ganzes ist Alchemised weniger ein literarisches Wunder als ein Beispiel dafür, dass Ambition ohne Maß und Selbstkritik selten zu wahrer Größe führt.