Hallo ihr Lieben,

sonst erzähle ich euch ja immer, wie nervig die Ärzte sind, welche Untersuchungen anstehen, welche Veränderungen es gibt und so weiter. Oder manchmal auch eine Woche lang gar nichts. Was ich euch nie erzähle, ist wie es mir WIRKLICH geht. Ganz offen, ehrlich, roh. Das fällt mir nämlich unheimlich schwer. Ich möchte es mir selber nicht ein gestehen, aber nachdem es hier letzte Woche ruhig blieb, habe ich nach gedacht. Viel sogar. 
Ich habe Erlebnisse immer wieder im Kopf durchgespielt. Mir gewünscht, ich hätte bessere Antworten, hätte besser reagiert. Ich wünschte, ich könnte alles einfach nur an mir abrollen lassen. Einfach leben, den Moment genießen. Aber das geht nicht. Auf Dauer geht das nicht und ich bin mental und gefühlsmäßig derart am Ende.

Ignoranz wo man nur hinsieht. Oder geht

Wieso ich mich so fühle?
Das hat hauptsächlich mit den Mitmenschen zu tun. Ich weiß, nicht jeder Mensch hat Vorurteile, nicht jeder Mensch mischt sich in alles ein. Aber wenn man ein Kind mit Übergewicht im Rollstuhl hat… Mischen sich wildfremde Menschen ein, meckern, maulen, geben mir die Schuld daran, versuchen mich zu belehren. Ihr könnt euch da noch weitere schlimmere Wörter ausdenken. Es passiert. Jeden Tag. Bei jedem Spaziergang. Bei jedem Einkauf. Ob mit Blicken oder Worten, Gesten oder Augenrollen. 
Ihr wollt Beispiele? Die habe ich!

Letztens an der Fleischtheke. 

Eine Frau sieht uns schräg von der Seite an, während ich Fleischwurst für Eva bestelle und mich mit der Metzgerin unterhalte. 
Man kennt uns in gewissen Läden hier. Die Verkäuferinnen sind immer sehr freundlich und wollen wissen, wie es Eva geht.
Während wir uns unterhalten, tritt diese Dame also neben uns, schaut mich an. Dann Eva. Schaut Eva von oben bis unten ganz genau an.
Und sagt dann zu mir:

Ist das ganze Essen etwa für Ihre Tochter? Sollte sie nicht lieber weniger essen?

Und nun sitze ich seit 5 Minuten vor dem Screen, lese den Satz, erinnere mich an mein Gesicht. Und an ihr Gesicht. 
Was sagt man darauf bitte? Und wie bleibt man da noch freundlich? 
Ich habe ihr, so freundlich und mit einem aufgesetzten Lächeln erklärt, dass Eva Cortison nimmt und das Gewicht einzig und alleine daher kommt. 
Dann meckert sie, ich solle meinem Kind nicht so ein starkes Medikament geben. 
Ja, ich mache das NATÜRLICH freiwillig meine liebe Unbekannte von der Fleischtheke…. Absolut FREIWILLIG.
Wieder mal stand ich sprachlos da. Und leicht sauer. Ich will die Situation nicht genauer erklären, aber ich bin sicher nicht Schuld daran, dass Eva Übergewicht hat. Also erkläre ich ihr, dass Eva einen Gehirntumor hat und ohne dieses ach so schreckliche Medikament sterben würde, weil der Druck im Gehirn zu hoch ist.

Dann war sie sprachlos!

Eine Woche später

Anderer Laden.
Andere Situation.
Wir sind mit dem Rollstuhl unterwegs, weil der Wocheneinkauf ansteht. Kleinere Einkäufe kann Eva auch zu Fuß erledigen, aber keinen größeren, wo wir dauernd anhalten müssen.
Der Rollstuhl ist natürlich etwas sperrig. Man geht langsamer, damit auch der Rollstuhlfahrer alles sehen kann. Die Perspektive ist natürlich eine andere. 
Und das nervt die Mitmenschen. Und zwar sehr. 
Keiner nimmt Rücksicht, keiner schiebt seinen Wagen beiseite. Alle meckern, motzen und glotzen. 
Ich musste mit Eva und dem Rollstuhl in einen bestimmten Gang. Dort stand aber ein etwas älterer Herr mit seinem Wagen genau im Weg. 
Mehrfach habe ich freundlich gefragt, ob er nicht seinen Wagen eventuell hinter sich setzen kann, damit wir auch weiter einkaufen können.
Keine Reaktion.
Erst als ich den Wagen selber ein wenig beiseite geschoben habe blieb die Reaktion nicht aus.
Er hat mich regelrecht angeschrien. Warum ich denn bitte den Wagen bewege. Ich sollte doch mit meinem “fetten Balg, dass zu dick zum laufen ist”, gefälligst woanders hin gehen.

Sprachlos und nervlich am Ende

Manchmal denke ich mir: 
Ich kann das nicht mehr.
Ich will das nicht mehr.
Ich will nicht mehr raus.
Nicht mehr unter Menschen.
Nicht einkaufen.
Ich will gar nichts mehr, außer mich im Bett verkriechen und heulen.

Ich hatte nie ein besonders dickes Fell. Das war schon in der Schulzeit so.
Aber für mein Kind muss ich stark sein. Und das bin ich an den meisten Tagen auch. Aber die letzten Wochen waren viel zu stressig, als das ich selber noch wüsste, wie ich damit umgehen soll. Ich kann die Trauer, die Wut, die Hilflosigkeit gar nicht in Worte fassen. Und ich hoffe inständig, dass ich früher nicht auch so ein Mensch gewesen bin, wie die, die mir derzeit so oft über den Weg laufen.